. .

Erfahren Sie die aktuelle Neuigkeiten

Aktuelle News hier!


Verschwendung wäre unethisch (27.04.2009)

26.04.2009 18:32 Uhr
Drucken | Versenden | [Lesezeichen hinzufügen] spacerBookmarken
schließen
Webnews Webnews
Yigg Yigg
folkd folkd
Mr. Wong Mister Wong
Linkarena Linkarena
Del.icio.us Del.icio.us
„Verschwendung wäre unethisch“
Was ist medizinisch notwendig?Gesundheitsökonom Gerd Glaeske über Stärken und Schwächen im System
ANZEIGE

Wir wollen die beste Medizin, doch das Geld dafür ist begrenzt. Beim Kongress „Psychotherapie und Medizin mit Geist und Seele“ der Akademie Heiligenfeld wird der Versorgungsforscher Professor Gerd Glaeske über „Medizin, Mensch und Ökonomie“ sprechen. Im Interview vorab benennt er die Schwächen unseres Gesundheitswesens.
Unser Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt. Bitte loben Sie es doch mal kurz und nennen die drei besten Punkte.

Professor Gerd Glaeske: Ich glaube in der Tat, dass unser Gesundheitswesen große Vorzüge hat, um die uns andere Länder eher beneiden. Ich rede hier über die gesetzliche Krankenversicherung, in der 90 Prozent unserer Bevölkerung versichert sind: Es gibt kaum Menschen, die nicht versichert sind und damit das Risiko Krankheit nicht andauernd als Problem „mitdenken“ müssen. Die Zugänglichkeit unseres Versorgungssystems bei schwerwiegenden Krankheitsproblemen ist nicht durch Wartelisten behindert oder von den Unterschieden des sozialen Status geprägt. Und wichtige Innovationen sind für alle Patienten verfügbar.
Die drei größten Schwachstellen?

Glaeske: Wir haben Schwachstellen im Bezug auf die Organisation und die künftigen Herausforderungen: Die Abschottung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung muss aufgebrochen werden. Die doppelte Facharztschiene, im niedergelassenen Bereich und in Kliniken, steht vielfach ineffizient nebeneinander. Chronische Erkrankungen werden in Zukunft dominieren, diese Herausforderung ist noch nicht gut gelöst. Für die Betreuung und Behandlung älterer Menschen brauchen wir mehr Kooperation aller Gesundheitsberufe als heute. Die Ärztezentrierung unseres Systems ist da eine Schwachstelle. Und wir brauchen ein verändertes Finanzierungssystem, das nicht nur auf die abhängig erwirtschafteten Einkommen zurückgreift, sondern auch Miet- und Kapitaleinkommen berücksichtigt. Ein letzter wichtiger Punkt: Wir haben erhebliche Unterschiede in der Gesundheit der Menschen in unterschiedlichen sozialen Schichten. Wir müssen uns stärker darum kümmern, auch den Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern – die Verteilungsgerechtigkeit ist noch nicht so ausgestaltet, wie ich mir dies wünsche.
Immer größere medizinische Möglichkeiten auf der einen, begrenzte Ressourcen auf der anderen Seite – lässt sich dieser Konflikt überhaupt lösen?

Glaeske: Der Konflikt lässt sich dadurch abmildern, dass immer wieder nach der Evidenz und Notwendigkeit der Behandlungen gefragt wird. Viele neue Maßnahmen sind nicht unbedingt von größerem therapeutischem Erfolg begleitet. Natürlich ist die Begehrlichkeit der Anbieter groß, auf die etwa 168 Milliarden Euro, die im Jahr 2009 für die Gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung stehen, zugreifen zu können. Aber: Innovationen sind keineswegs immer besser als die bewährten Maßnahmen. Daher muss ihr Nutzen konsequent bewertet werden. Und wir müssen über den Preis verhandeln, zu dem die GKV diese neuen Behandlungsmöglichkeiten übernimmt.
Wieso ist die Diskussion über medizinische Notwendigkeiten in unserer Gesellschaft ein so großes Tabu?

Glaeske: In Fachkreisen wird schon häufig über das medizinisch Notwendige gesprochen. Dies würde es aber mit sich bringen, dass manche Leistungen nicht mehr zum GKV-Leistungskatalog gehören würden. Wir können uns noch lebhaft an die Diskussionen erinnern, als zum Beispiel die Knochendichtemessung nicht mehr als Früherkennungsmaßnahme bezahlt wurde. Auch für Überflüssiges gibt es immer ökonomisch Interessierte. Das gleiche gilt für viele Arzneimittel, die immer noch verordnet werden, obwohl der Nutzen längst zweifelhaft geworden ist. Wir brauchten daher politisch vermittelte Bedingungen, mit denen auch Leistungen aus dem Katalog ausgegrenzt werden können, die heute noch breite Anwendung finden.
Da rufen dann viele gleich, das sei Rationierung.

GlAeske: Unsinn, sage ich. Es handelt sich letztlich nur um die Frage, welche Leistungen tatsächlich begründet zugunsten der Patienten einsetzbar sind. Wenn Geld für zweifelhafte Leistungen ausgegeben wird, ist dies in einem System wie der GKV, das immer nur über begrenzte finanzielle Mittel verfügt, letztlich Verschwendung – und dies wäre unethisch.
Sind wir zu anspruchsvoll? Müssen wir die Rationierung in der Versorgung akzeptieren?

Glaeske: Die Medizin mit ihren Versprechungen hat uns alle geprägt. Wir geben gerne Verantwortung an die Ärzte ab, die sich professionell um die Wiederherstellung unserer Gesundheit kümmern und die zu wenig unsere eigenen Gesundheitskräfte fördern. Wie denn auch, wenn sie vor allem für die Behandlung von Krankheiten honoriert werden. Insofern werden wir uns mehr und mehr damit beschäftigen müssen, wie und welche Krankheiten wenn schon nicht ganz vermieden, so doch verringert werden können. Im Alter treten häufig Diabetes und Bluthochdruck auf, die sind aber keine altersbedingten Erkrankungen, weil sie durch Prävention beeinflusst werden können. Bevor wir das Schreckgespenst der Rationierung an die Wand malen, müssen wir uns immer auch selber fragen, was wir zum Funktionieren des Gesundheitssystems beitragen können. Ernährungsumstellung und Bewegung können das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder auch Gicht deutlich verringern. Dadurch helfen wir selber mit, damit die Rationierung so lange wie möglich abgewendet werden kann.
Eigentlich ist doch genug Geld im System, oder?

Glaeske: Es steht ohne Zweifel genügend Geld für die medizinische Versorgung zur Verfügung. Wir haben aber Verteilungsprobleme. Die beginnen bei den Umverteilungskämpfen der Ärzte untereinander – Hausärzte gegen Fachärzte – und reichen bis zu den finanziellen Verteilungsmustern zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung. Die Interessen der Anbieter schlagen immer wieder in erheblichem Maße durch. Unser System ist aber für die Patienten da, nicht primär für das Auskommen der Ärzte, Krankenhäuser, Pharmafirmen, Apotheken.
Angenommen, Sie wären Gesundheitsminister. Was würden Sie als erstes beschließen?

Glaeske: Es gibt viele Dinge, die zu tun wären. Drei Aspekte möchte ich herausgreifen: Die Finanzierung muss verändert werden, alle müssen zunächst einmal mitfinanzieren, wie dies in der Bürgerversicherung angedacht ist. Wenn jemand dann noch meint, er müsse noch neben dem auf Notwendigkeit und Evidenz aufgebauten Leistungskatalog zusätzliche Aspekte absichern, kann er dies gerne über eine Zusatzversicherung tun. Zum Zweiten: Gesundheit ist ohne Bildung nicht machbar. Insbesondere bei den Menschen der unteren sozialen Schichten müssen wir ein besseres Verständnis für Prävention und Gesundheitsförderung erreichen. Es ist ein Trauerspiel, wie in den vergangenen Jahren mit dem Präventionsgesetz umgegangen wurde. Wir brauchen endlich ein Gesetz, dass die Strategie der Prävention als vierte Säule neben Kuration, Reha und Pflege verankert. Prävention ist ein Schlüssel für die Finanzierbarkeit der GKV in der Zukunft.
Ihre Befürchtung, Ihre Hoffnung: Wie sieht unser Gesundheitswesen in zehn, in 20 Jahren aus? Was hat sich verändert?

Glaeske: Ich hoffe, dass sich die Gesundheits- und die Bildungschancen insbesondere der Menschen aus unteren sozialen Schichten verbessert haben und dass wir ein stärker auf Prävention aufgebautes System haben werden. Meine Befürchtung ist, dass unser System mehr und mehr in eine privatisierte Finanzierung unter Abkehr von der Solidarität hineinläuft, das letztlich die Armen noch bedürftiger macht und die Bedürfnisse der Reichen noch stärker berücksichtigt als schon heute.
Wo bleibt der Mensch bei all der Ökonomisierung?

Glaeske: Die Ökonomie ist eine Hilfe im System, wenn sie Lösungen anbietet, wie mit knappen Mitteln eine besonders gute Versorgung an den richtigen Stellen organisiert werden kann. Insofern war die Ökonomie immer schon Begleiterin unseres Medizinsystems. Sie ist allerdings zu wenig zugunsten der Patienten genutzt worden, sondern hat immer stärker das ökonomische Interesse der Anbieter im System bedient. Dies muss sich ändern – der Patientennutzen muss im Vordergrund stehen, dann ist mir um die Chancen der Menschen in diesem System nicht bange.


Zur News Seite