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Praxisführung: Das tägliche Lesepensum bewältigen (08.05.2009)

Methoden wie das Photo-Reading oder das FlächenLesen versprechen, dass der Leser mittels der richtigen Technik ein immenses Quantum an Informationen – 800 bis 30 000 (!) Wörter je Minute – aufnehmen könne. Dabei versetzt sich der Leser mithilfe meditativer Entspannungstechniken und der „Nutzung“ des Unterbewusstseins in einen hochkonzentrierten Zustand. Der Erfolg dieser Techniken ist jedoch umstritten. Sie funktionieren – wenn überhaupt – nur, wenn während der Lektüre vollkommene Ruhe herrscht, was im Praxisalltag selten vorkommt.

Für Ärzte geeigneter sind Schnelllesetechniken wie das Speed-Reading. Dabei wird die Blickspanne besser ausgenutzt. Der Arzt liest nicht Wort für Wort, sondern nimmt den Sinn der Zeile wahr, indem er sich an der Mitte der Zeile orientiert und mehrere Wörter zugleich aufnimmt. Die bessere Nutzung der Blickspanne lässt sich etwa bei der täglichen Zeitungslektüre trainieren. Nach und nach erhöht der Arzt so seine Konzentrationsfähigkeit und liest bewusster.
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Stichwort: bewussteres Lesen. Vor der Lektüre fragt sich der Arzt: Welche Fragen habe ich an den Text? Was möchte ich erfahren? Welche Informationen sind für mich interessant und wichtig? Während der Lektüre achtet er auf bestimmte Wegweiser. In Nachrichtentexten steht das Wichtigste am Textanfang, in Fachartikeln findet sich zu Beginn die Problembeschreibung, im Haupttext eine Hinführung zum Lösungsansatz, am Schluss eine Zusammenfassung. In Mails und Briefen sind Textanfang und -ende von besonderer Bedeutung, weil dort die wichtigsten Inhalte benannt oder wiederholt werden. Wörter wie „daher“, „weil“, „denn“ und „deshalb“ leiten einen erläuternden Gedanken ein, „aber“, „doch“ und „obwohl“ einen alternativen Gedanken. Zudem vermeidet der Arzt Verhaltensweisen, die das schnelle Lesen behindern. Dazu zählen das innere Mitsprechen und unkonzentriertes Lesen.

Sinn der Informationsaufnahme ist, sich die wichtigen Passagen zu merken und im Langzeitgedächtnis zu verankern. Dafür liest etwa Gerhard Götzen, Augenarzt in Düsseldorf, immer mit Bleistift oder Textmarker und hat ein Markierungssystem mit Zeichen entwickelt: „Das Ausrufezeichen weist auf wichtige Stellen hin, ein Pfeil, dass ich die Stelle nachprüfen muss, ein ‚Z‘ auf eine zusammenfassende Passage, das ‚M‘ auf einen Inhalt, den ich mit den Mitarbeiterinnen besprechen will.“ Bei besonders ergiebigen Texten ist es sinnvoll, nach der Lektüre eine kurze schriftliche Zusammenfassung zu erstellen.

Praktikabel für Ärzte ist auch die SQ3R-Methode, die vor allem für das Lesen größerer Textmengen nützlich ist. Zunächst verschafft sich der Arzt einen Überblick über den Text (Survey), indem er das Inhaltsverzeichnis, die Kapitelüberschriften, Zusammenfassungen, Register und Literaturverzeichnis liest. Viele Bücher bieten resümierende Seitenanmerkungen und heben Schlüsselbegriffe durch Fettdruck oder Kursivschrift hervor. Q steht für Question: Der Arzt formuliert die bereits erwähnten Fragen an den Text und unterscheidet so schnell das Wesentliche vom Unwesentlichen. Das erste R steht für Read und umfasst die konzentrierte Aufnahme des Textes, etwa mit Hilfe des Markierungssystems und der erweiterten Blickspanne.

Im Mittelpunkt steht die gezielte Suche nach Antworten auf die formulierten Fragen. Das zweite R steht für Recite: Das Gelesene wird in eigene Worte gefasst, Wichtiges notiert. Dabei sollte der Arzt möglichst viele eigene Formulierungen verwenden. Dadurch behält er den Inhalt besser und merkt sofort, wenn er etwas nicht richtig verstanden hat. In einem abschließenden Rückblick (Review) überprüft er die Notizen und liest, zur weiteren Vertiefung und um Unklarheiten zu beseitigen, einzelne Stellen nochmals.

Schnelles Lesen darf keinen Wert an sich darstellen. Es kommt auf das effektive Lesen an, das dazu führt, zielorientiert auszuwählen und zu entscheiden, ob man etwas lesen muss – oder nicht.



Deutsches Ärzteblatt 102,


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