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Mit Medizin darf kein Gewinn gemacht werden (19.12.2010)

Durch ihn war es den Ärzten möglich, mit den Kassen direkte Verträge, die so genannten Hausarztverträge, abzuschließen und dadurch längerfristig Planungssicherheit zu bekommen. Das soll auch künftig so bleiben, fordern die Hausärzte, wenn nicht im Rahmen des Paragrafen 73b, dann über den Systemausstieg. Unsere Mitarbeiterin Irene Beringer sprach mit Hausärzten in Beilngries, Dietfurt und Denkendorf.


Politische Entscheidungen durchdringen schon seit mehreren Jahren die Arbeit der Ärzte. Als Hausärzte fühlen Sie sich zunehmend von der Kassenärztlichen Vereinigung – ihrer Standesvertretung – vernachlässigt, oder vielmehr: bevormundet und in Ihrer Tätigkeit eingeschränkt. Seit wann spitzt es sich zu?

Harald Uhl: Es ist ein kontinuierlicher Prozess. Schon Ende der 1990er Jahre stand die hausärztliche Versorgung einmal vor dem Aus. Es war damals die Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die durch eine Trennung der haus- und der fachärztlichen Vergütung für Besserung sorgte.

Rotraut Allgayer: Wieder angefangen hat es mit dem Wettbewerbsförderungsgesetz, das 2003 von der Großen Koalition verabschiedet wurde. Seitdem dürfen Aktiengesellschaften medizinische Einrichtungen übernehmen – das soll den Wettbewerb fördern. Es wird aber verschleiert, dass diese Leistungsanbieter am Kapital interessiert sind, und viel mehr noch, dass überhaupt kein Wettbewerb vorhanden ist. Alles ist auf ein paar Konzerne reduziert.

Uhl: Seit 2008 sind es die Hausarztverträge, die uns am Leben erhielten. Diese Verträge werden auch jetzt schon außerhalb der KV abgewickelt. Sie will Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) nun wieder abschaffen.

Als Mittel der letzten Konsequenz empfiehlt der Bayerische Hausärzteverband nun den Ausstieg aus dem System. Bitte erklären Sie kurz die Funktionsweise dieses Systems und was es Ihrer Meinung nach leistet beziehungsweise eben nicht.

Wolfgang Brand: Die KV ist unsere Interessenvertretung gegenüber den Krankenkassen. Wir fühlen uns von ihr aber längst nicht mehr adäquat vertreten, sei es nun bei Fragen medizinischer, finanzieller oder organisatorischer Art.

Uhl: Als Körperschaften des öffentlichen Rechts verteilen sie die Honorare an die niedergelassenen Ärzte, wobei die Gesamtsumme politisch vorgegeben wird. Die Kriterien der Aufteilung ändern sich aber laufend. Es gibt keine Planungssicherheit. Kein Arzt kann mehr sein Honorar vorausplanen, keiner versteht mehr seine Abrechnung.

Allgayer: Die politische Entscheidungen gehen immer mehr in Richtung Konzernmedizin. Wir Hausärzte stehen da im Weg. Aber wir sind es, die gerade auf dem Land eine flächendeckende Versorgung ohne weite Wege ermöglichen. Wir sind sieben Tage die Woche rund um die Uhr für unsere Patienten da und haben in der Regel ein intensives Vertrauensverhältnis zu den Patienten.

Etwa ein Drittel der bayerischen Hausärzte ist über 60 Jahre, das heißt, sie gehen auf absehbare Zeit in Rente. Gleichzeitig plagen sie große Nachwuchssorgen. Ist das in der Bevölkerung angekommen?

Uhl: Nur bei einem Teil. Noch funktioniert ja die Versorgung.

Brand: Es wird ein ganz großer Schwund in den nächsten Jahren sein. Das ist für uns ein ganz starkes, sogar das höchste Motiv, die Bevölkerung aufzuklären, damit die ihre Abgeordneten und auch ihre Kassen mal darauf ansprechen, wie das in Zukunft funktionieren soll. Aber die Leute personalisieren das Problem. Sobald ich bestätige, dass ich noch ein paar Jahre da bin, sind sie beruhigt. Aber was dann?

Wer sind denn eigentlich die "Gegenspieler"? Gegen wen richtet sich der Protest vordergründig?

Brand: Die Politik. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung zu regeln. Den hat sie nur an die KV delegiert.

Uhl: Es ist eigentlich kein Protest, sondern der letzte Versuch, eine wichtige Grundlage unserer Daseinsvorsorge, nämlich die hausärztliche Versorgung durch freie selbstständige Ärzte, zu erhalten. Gelingt uns das nicht, wird der Hausarzt, so wie ihn unsere Patienten wollen, aussterben. Gesundheitskonzerne in Aktionärshand werden in die Lücke stoßen. Sie und die Politiker, die zu ihren Gunsten entscheiden, sind somit die Gegenspieler.

Der 22. Dezember verbindet gleichermaßen Hoffnungen und Ängste.

Uhl: Wenn der 22. gelingt, dann haben wir planbare Honorare und damit die Chance, wieder Nachwuchs für den schönen Beruf des Hausarztes zu gewinnen. Wenn nicht, ist die hausärztliche Versorgungsebene in fünf Jahren in der jetzigen Form nicht mehr existent.

Allgayer: Die Befürchtung bleibt, dass nicht genügend mitmachen; dann werden wir zum Spielball der Politik. Über die privaten Konzerne wird dann aus unserer Leistung Gewinn gemacht. Mit Medizin darf aber kein Gewinn gemacht werden.

Die Bedürfnisse der Ärzte differieren, je nachdem, ob sie in ländlichen Gebieten oder in Städten praktizieren.

Brand: In der Stadt gibt es eine größere Arztdichte, dort ist das Problem nicht so evident. Das System wird zuerst auf dem Land zusammenbrechen, man rechnet, dass 70 bis 80 Prozent der Hausärzte aussteigen.

Was passiert danach? Immerhin fehlt dann die Grundlage für die Entlohnung ihrer Arbeit. Heißt das, mindestens 60 Prozent der Ärzte behandeln keine Patienten mehr? Gerade auf dem Land klingt das nach einem Desaster.

Uhl: Wir wollen unsere Patienten weiterhin auf hohem Niveau behandeln, das ist ja gerade der Grund für unsere Aktion. Wir werden unmittelbar nach dem 22. Dezember den Kassen Verträge anbieten, die sich an die – noch gültigen – Hausarztverträge anlehnen. Kommen diese Verträge zum Zuge, geht die Versorgung der Patienten nahtlos weiter. Wenn nicht, werden die ausgestiegenen Ärzte ihre Praxen schließen, beginnend in einem Regierungsbezirk, jede Woche wird ein weiterer folgen.

Allgayer: Unter Beachtung der Kündigungsfrist dürften wir rein theoretisch ab dem 1. April nur noch Privatversicherte behandeln. Aber die Kassen werden gezwungen sein, sich um Lösungen zu bemühen. Sie haben dafür zu sorgen, dass jeder Patient einen Arzt erreichen kann. Wer soll bei dieser Aussteigerquote die ganze Arbeit übernehmen?

Werden die Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssen?

Uhl: Es ist im Moment schwer abschätzbar, ob in einer bestimmten Phase die Patienten die Kosten vorstrecken müssen oder ob mit einzelnen Kassen keine Verträge zu Stande kommen.

Möglicherweise wird es Vorwürfe hageln, zum Beispiel, Sie würden Streitereien auf dem Rücken der Patienten auszutragen – können Sie den entkräften?

Allgayer: Wir wollen ja arbeiten. Aber unter diesen Bedingungen können wir nicht mehr lange arbeiten – beziehungsweise wir vielleicht schon noch, aber wir kriegen keine Nachfolger. Wir machen das Ganze sicher nicht für uns, sondern für unsere Patienten und für die nachfolgende Medizinergeneration.

Brand: Die Politik zwingt uns dazu. Nicht wir haben uns das eingebrockt. Hoffentlich läuft es wie beim Impfschutz: Ein kleiner Pieks erzeugt große Wirkung.
Quelle:donaukurier . de


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